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Gary Victor

Die Zauberflöte

Inhalt

Wie konnte Dieuseul Lapénuri, ein kleiner Beamter ohne besondere Qualifikationen, zum „Minister für moralische und staatsbürgerliche Werte“ werden? Ausschlaggebend war wohl eine besondere Fähigkeit, die ihn zum Liebling des Präsidenten macht, denn ohne es zu ahnen kennt Dieuseul Lapénuri das “Geheimnis des Flötenspielers”. Der frischgebackene Minister wird seines Erfolgs indessen nicht froh, denn es wird gegen ihn intrigiert, der Präsident wird immer fordernder, und man hat ihn mit einem äußerst heiklen Dossier betraut, dem ersten schwul-lesbischen Kulturfestival von Port-au-Prince. Die Auseinandersetzungen darum wachsen sich zur Staatsaffäre aus.

Gary Victors bisher schärfste Politsatire über Sex, Macht, Korruption und Heuchelei.

Autorenportrait

Gary Victor, geboren 1958 in Port-au-Prince, gehört zu den populärsten haitianischen Gegenwartsschriftstellern. Im deutschsprachigen Raum wurde er vor allem durch seine Kriminalromane um Inspektor Dieuswalwe Azémar bekannt. Seine drastischen Schilderungen gesellschaftlicher Missstände stellen ihn in die Tradition der Sozialromane des 19. Jahrhunderts und machen ihn zum subversivsten zeitgenössischen Autor Haitis.

Leseprobe

»War das das erste Mal?«, fragte der Präsident.

Dieuseul Lapénuri schlug verschämt die Augen nieder. Er fühlte sich klein, erbärmlich, schlapp. Ihm fiel ein Vortrag wieder ein, den er selbst vor den versammelten Gläubigen seiner Kirche gehalten hatte. Mein Gott, was hatte er getan? Wenn das rauskam, in dieser auf Amtsvergehen lauernden Stadt. Gab es Kameras im Arbeitszimmer des Präsidenten?

»Ja«, brachte er hervor.

Das konnte einen Wert haben, dachte er, um sich Mut zu machen, um eine Ausrede zu haben. Jungfernschaft egal welcher Art ist in allen Kulturen begehrt. Er betete zu Gott, dass der Präsident nicht den Wunsch haben möge, noch weiter zu gehen. Im Moment, so schätzte Dieuseul Lapénuri, war er außer Gefahr.

»Sie haben bei Ihrem Präsidenten und damit bei der Nation Gefallen gefunden. Sie sind ein guter Staatsbürger, Dieuseul Lapénuri. Sie und ich werden eine ehrliche und fruchtbare Zusammenarbeit zum Wohl unseres geliebten Vaterlandes aufnehmen. Ich bin überzeugt, dass ich mich auf Sie verlassen kann.«

»Gewiss, Herr Präsident«, stammelte Dieuseul Lapénuri mit schwerer Zunge.

Der Präsident nahm seinen Füllfederhalter, unterzeichnete das Memorandum und stand auf, um ihm die Hand zu geben.
»Im Namen der Väter des Vaterlandes ernenne ich Sie zum Minister für moralische und staatsbürgerliche Werte.«
Der Daumen des ersten Vertreters der Nation streichelte drängend Dieuseul Lapénuris Handfläche.

Als er den Palast verließ, lasteten auf seinen Schultern und seinem Gewissen all die anklagenden Blicke, die er zu Recht oder zu Unrecht auf sich gerichtet glaubte. Es kam ihm vor, als musterten die Sicherheitsleute ihn länger als gewöhnlich. Mechanisch wischte er sich das Gesicht ab und verwandte besondere Sorgfalt auf die Lippen aus Angst, ein Tropfen, eine Perle, eine Spur, die ihm bei der hastigen Toilette entgangen war, könnte verraten, wozu er für den Posten bereit gewesen war, der ihm und vor allem seiner Frau so viel bedeutete. Er ging zu seinem Auto und fuhr direkt nach Hause, anstatt, wie er ursprünglich vorgehabt hatte, an einer Bar haltzumachen, um mithilfe eines guten Scotchs wieder zur Besinnung zu kommen. Wenn der Alkohol ihm zu Kopf stieg, verlor er manchmal die Kontrolle darüber, was er sagte. Eine Bemerkung, die höheren Ortes gemeldet wurde, könnte seine politische Karriere beenden und ihn endgültig auf seine triste, von seinen Seitensprüngen kaum erhellte Existenz festlegen. Er kaufte bei einem fliegenden Händler eine Flasche gekühltes Wasser. Es verschaffte ihm Erleichterung, ohne sein Unwohlsein zu lindern.

Bevor er aus dem Auto ausstieg, untersuchte Dieuseul Lapénuri sich ausgiebig im Innenspiegel. Ihm wurde plötzlich übel. Dieselben Handgriffe führte er aus, wenn er nach einem Abend mit einer seiner Geliebten aus dem Ministerium nach Hause kam. Das hier war nicht dasselbe. Er hatte gerade alle Stufen übersprungen. Ein Stabhochsprung! Mit einem steifen, richtig eingesetzten Stab. Er hatte es verstanden, diesen Stab so zu berühren, zu liebkosen, zu verschlingen, dass er in allen möglichen Frequenzen vibriert hatte. Dieuseul Lapénuri vergewisserte sich, dass an ihm nichts war, was das Misstrauen seiner Frau erregen könnte. Sie würde ihm ungeniert die Hölle heiß machen, obwohl er sich für das Wohl des Haushalts geopfert hatte. So oder so verbot ihm seine Würde als Mann, seiner Frau diese Erfahrung zu gestehen, die umso traumatisierender war, als sie ihm ein gewisses Vergnügen bereitet hatte.

Anodine lag auf dem Sofa vor dem ausgeschalteten Fernseher. Sie lackierte sich die Nägel; auf einem kleinen Hocker neben ihr standen mehrere Fläschchen, ein Zeichen, dass sie zahlreiche Farbtöne ausprobiert, wieder entfernt und in fieberhafter Aktivität andere aufgetragen hatte, um ihre Angst zu beruhigen. Als sie ihren Mann erblickte, erhob sie sich eilig.

»Hat’s geklappt?«

»Ja«, antwortete er. »Ich bin Minister.«

»Ist es mit dem Präsidenten gut gelaufen?«, fragte sie und musterte ihn.

Er verstand die Frage nicht. Wenn er Minister war, dann war es gut gelaufen.

»Sehr gut. Er hat sich korrekt verhalten.«

Sie drückte gierig ihre Lippen auf seine, ihre Zunge suchte den Weg in seinen Mund. Er sträubte sich. Die Angst, sie könnte trotz dem Wasser, das er extra getrunken hatte, einen ungewöhnlichen Geschmack wahrnehmen. Sie dehnte den Kuss länger aus als gewöhnlich, und er fragte sich, ob im Kopf seiner Frau nicht gerade unangenehme Fragen entstanden. Frauen sind immer auf Empfang, selbst in den intensivsten Momenten der Liebe, wenn der Mann in der Lust versinkt. Sie machte sich von ihm los, zog ihn zum Sofa und liebte ihn dort so furios, wie er es seit der Geburt ihres ersten Kindes von ihr nicht mehr kannte. Anodine wollte die Hündchenstellung. Eine Fantasie schoss ihm durch den Kopf: der Präsident und er! Er verjagte sie schockiert.

Pressestimmen

Le Point, Paris, Valérie La Meslée

In dieser spannenden Sittenkomödie inszeniert Gary Victor, in aller Freiheit und mit einer Lebendigkeit, die der Commedia dell’arte würdig wäre, nicht nur Haiti, sondern den Menschen angesichts der Macht, ethischer Normen und der Andersartigkeit.

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