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Kettly Mars

Fado

»Ein Roman wie ein Fiebertraum.« Jutta Sommerbauer, Die Presse
»Kettly Mars hat den Roman der Wiedergeburt geschrieben: Man verliert sich in der Haut einer anderen, um sich besser wiederzufinden.« Mohammed Aïssaqui, Le Figaro Littéraire

Inhalt

Anaïse, eine Frau aus der haitianischen Bourgeoisie, erfindet sich nach der Trennung von ihrem Mann eine neue Identität und wird zu Frida, einer Prostituierten in einem schäbigen Bordell. Dank Frida ergreift sie wieder Besitz von ihrem Körper und glaubt aufs Neue an die Liebe. Im Rhythmus des Fado verschwimmen die Grenzen von Vernunft und Wahn, Leben und Tod. Ein Hauch von Belle du jour in Port-au-Prince.

Autorenportrait

Kettly Mars, geboren am 3. September 1958 in Port-au-Prince, Haiti erhielt eine klassische Bildung und arbeitete als Verwaltungsangestellte. Ab den 90er Jahren wurde sie in Haiti als Lyrikerin bekannt. Als Prosaautorin machte sie sich durch die Romane Kasalé (2003) und L’heure hybride (2005) einen Namen. Das Zweideutig-Unbestimmte, das in diesem Titel zum Ausdruck kommt, kennzeichnet auch ihren 2008 erschienenen Roman Fado.

In Deutschland wurde sie durch ihren Artikel über das Erdbeben in Haiti bekannt (»Ich habe überlebt«, DIE ZEIT vom 21. Januar 2010).

Leseprobe

»Was ist das für eine Musik?«

»Ein Fado.«

»Ah.«

Léo hat mir schließlich die Frage gestellt, die ihn schon seit einigen Tagen umtreibt. Ich lese noch viele weitere Fragen in seinem Gesicht. Ich suche seinen Blick, er sieht perplex woanders hin. Ich verwirre ihn, denn ich scheine nicht zu leiden. Er versteht nicht, dass ihn so viele Dinge ersetzen, seit er nicht mehr mit mir zusammen lebt. Vieles,­ das ihn anzieht und ihm gleichzeitig auch Angst macht. Wie dieser Fado, den ich ständig höre. Die Stimme von Amália Rodrigues, die mein Zimmer intensiv wie einen Abschied macht. Das Geräusch des Meeres zwischen meinen Laken. Der Ozean, der so nah ist und einen doch bis zum Hafen von Lissabon forttragen kann. Mein Bett wie der Tejo, mein Körper der Torre ­de ­Belém, Zeugen eines dunklen Schicksals, das Kurs auf Benin­ hielt. Die Gitarren, die auf meiner Haut den ­Duft eines unerträglichen Abschieds, eines unvermeidlichen Schmerzes hinterlassen. Und meine Dessous, diese vielen Spitzen, die mir früher zuwider waren. Das trunkenrote Gespinst meiner Schlüpfer, das schwindelnde Indigo meiner Büstenhalter. Léo weiß, dass ich immer noch auf ihn warte, dass ich mich nach seiner Begierde sehne. Und dann ist da noch diese Katze, meine neue Gefährtin, ich habe sie Dulce getauft, die Sanfte mit den goldenen Augen. Sie liebt genauso wie ich den Fado. Und dies, obwohl ich zu Léos Zeiten nie ein Tier im Haus haben wollte, nicht einmal einen Wellensittich oder einen Goldfisch. Auch trinke ich nun abends kühlen Weißwein. Frida würde sagen, um der Nacht entgegenzutreten.

»Wer bist du, Anaïse?«

Das ist die Frage, die Léo mir eigentlich stellen will. Oder besser:

»Wer bist du geworden, Anaïse?«

»Ich bin Frida … manchmal. An manchen Tagen. Aber das würdest du nicht ver­stehen, Léo … Das ist eine Geschichte, aus der ich selber nicht schlau werde, der ich nicht gewachsen bin. Ich weiß lediglich, dass ich an dem Tag, an dem man mir Bony bei einer Geburtstagsfeier vorgestellt hat, ­begonnen habe,­ in Fridas Haut zu schlüpfen. Das war kurz nach unserer­ Scheidung.«

Bony … der etwas peinliche Halbbruder der Gastgeberin. Eine Art enfant­ ­terrible, eine Mischung aus schwarzem Schaf und Zuhälter mit Engelsgesicht. Bony, der einen Fuß nachzieht. Motorradunfall.

Da seine anfängliche Zurückhaltung nach einer halben Flasche Rum verflogen war, erzählte er mit geradezu bestürzender Unbefangen­heit vom Leben im Bordell in der Rue des Fronts-Forts, das er von seiner Mutter geerbt hatte. Das kleine bürgerliche Publikum hörte ihm mit gezwungenem Lächeln zu, angeekelt und fasziniert zugleich von diesem Unternehmer einer eher seltenen Art, dem ihre Meinung offensichtlich schnurz war. Er erzählte ihnen aus seinem Leben, von seinen Scherereien, seinem Geschäft, das in seinen Augen ein Broterwerb wie jeder andere war. Ich hörte ihm mit Augen, Ohren, mit allen Fasern meines Körpers zu, denn Frida begann bereits in mir zu erwachen. Fasziniert folgte ich ihm durch die etwa zehn kleinen Kammern des engen und abgenutzten zweistöckigen Gebäudes, das in der Hitze der Altstadt glühte. Die schluchzende Fadostimme der Amália Rodrigues begleitete unsere Schatten, als ich hinter seinen hinkenden Schritten die beschwerlichen Stufen des Hotels hinaufging.

Bony erzählte von Kunden, die Handtücher stahlen, so dass man sie unaufhörlich ersetzen musste, von den unerschwinglichen Preisen der Leintücher, vom Stadtviertel ohne Wasseranschluss, vom Wasser, das zur Zeit seiner Mutter noch 50 Centime und heutzutage fünf Gourde pro Eimer kostete. Er erzählte von den Mädchen, die immer verschwenderischer und fauler wurden und ihr Handwerk immer schlechter be­herrschten.

Wie mein Schweiß gleitet Frida endlich aus meinen Poren, wo sie schon seit langem wachte, von wo aus sie mich bewohnte, mich verzehrte. Ich gebe ihr eine Stimme. Ich errichte ihr eine Heimstatt. Ich erkläre sie für rechtmäßig.

Pressestimmen

Die Presse, Jutta Sommerbauer

Die haitianische Schriftstellerin Kettly Mars hat ein Buch über den ungewöhnlichen Alleingang einer geschiedenen Frau geschrieben […].

Anaïse, eine erfolgreiche Büroangestellte aus der haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince, beschließt nach der Trennung von ihrem Mann Léo, ihr Schicksal als verlassene Frau nicht hinzunehmen. […]

Die haitianische Schriftstellerin Kettly Mars hat mit Fado einen Roman wie einen Fiebertraum geschrieben, der zwischen Beschreibungen des äußeren Elends des Armenviertels von Port-au-Prince und der inneren Schmach Anaïses oszilliert. Schließlich besorgt sie, überraschend schwanger, von einem lokalen Medizinmann einen Parfumflakon mit durchsichtiger, hochgiftiger Flüssigkeit. Was danach passiert, lässt sich schwer einordnen. Ereignet es sich wirklich? Ist es ein Wunsch? Ein Traum?

Am Schluss singt erneut eine Frau den Fado. Und Frida scheint mit Anaïse Frieden geschlossen zu haben.

Auszug aus: Die Presse, Jutta Sommerbauer, 25. September 2010

Le Figaro Littéraire, Mohammed Aïssaqui

Es heißt, der Fado sei ein melancholischer Gesang, eine Hymne an die Verzweiflung. Traurigkeit sucht man in dieser Erzählung jedoch vergeblich, obwohl sie den Titel Fado trägt. Es gibt dort zwar Bitterkeit und auch Wut, vor allem aber Energie, Rhythmus, Seiten von mitreißender Poesie und kurze Sätze, die man singen könnte, so viel wollüstige Musikalität steckt in ihnen. Die Geschichte beginnt schlecht für Anaïse: Diese fast vierzigjährige Frau mit dem zerbeulten Leben will und kann kein Kind bekommen. Dies ist vermutlich der Grund, warum ihr Mann sie für eine junge Geliebte verlassen hat, die, kaum dass sie sich kennengelernt haben, bereits schwanger ist. Anaïse unternimmt daraufhin eine außergewöhnliche Wandlung: Sie wird zu Frida und verkauft ihren Körper in der Unterwelt von Port-au-Prince, wo sie ihre verdrängte Sinnlichkeit, ihre Phantasien und Sehnsüchte entdeckt.

Auszug aus: Le Figaro Littéraire, Mohammed Aïssaqui, 26. Juni 2008. Aus dem Französischen von Peter Trier

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