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Gary Victor

Soro

Inhalt

Port-au-Prince, 12. Januar 2010: Kaum dem Erdbeben entronnen, erhält Inspektor Azémar einen neuen Spezialauftrag seines Freundes und Vorgesetzten Kommissar Solon: Er soll herausfinden, mit wem die Frau des Kommissar in dem Stundenhotel war, unter dessen Trümmern ihre Leiche gefunden wurde. Dumm nur, dass dieser Mann der Inspektor selbst war … Außerdem ist da der berühmte Maler, der angeblich dem Erdbeben zum Opfer gefallen ist. Ausgerechnet in dieser heiklen Lage ist auf den bisher besten Verbündeten des Inspektors, den aromatisierten Zuckerrohrschnaps namens soro kein Verlass mehr. Einmal mehr kann Azémar nur seiner Intuition und seiner Beretta vertrauen …

Dieuswalwe Azémar im Mittelpunkt eines Dramas um Liebe, Freundschaft und Loyalität vor dem apokalyptischen Hintergrund des zerstörten Port-au-Prince.

 

Platz 4 der Litprom-Bestenliste Weltempfänger Nr. 27

Platz 5 der Krimibestenliste der ZEIT Juni 2015

Autorenportrait

Gary Victor, geboren 1958 in Port-au-Prince, Haiti, ursprünglich Agronom, gehört zu den meistgelesenen Schriftstellern seines Landes. Viele seiner Gestalten sind zu feststehenden Typen geworden. Außer Romanen, Erzählungen und Theaterstücken, für die er mit mehreren Preisen, darunter dem Prix du livre RFO und dem Prix littéraire des Caraïbes ausgezeichnet wurde, schreibt er auch Beiträge für Rundfunk und Fernsehen, die in Haiti regelmäßig für Aufregung sorgen. Sein schonungsloser Blick auf die Gesellschaft stellt ihn in die Tradition der Sozialromane des 19. Jahrhunderts und macht ihn zum subversivsten Gegenwartsautor Haitis.

Leseprobe

Kommissar Solon schlug mit der Faust auf den Tisch.

»Sind Sie nun mein Freund, ja oder nein? Wer hat Sie in all den Jahren geschützt, Inspektor? Ich verlange eine Gegenleistung. Packen Sie den Mann am Kragen. Sie sind in dieser verrotteten Institution und womöglich im ganzen Land der Einzige, den ich schätze. Weil ich weiß, dass Sie sich mit Ihren Lastern nur über Ihr Leiden am Leben hier hinweghelfen. Enttäuschen Sie mich nicht, Inspektor.«

Er wischte sich mit dem Handrücken über die Augen.

»Ich bitte Sie, enttäuschen Sie mich nicht.«

Azémar wusste nicht, was er sagen sollte. Trotz der Eisnadeln an seinen Fingerspitzen juckte es ihm in den Händen. Er musste zur Flasche greifen, und dafür musste er sich verabschieden. Sich einen Moment entfernen. Nicht nur, um zu trinken, sondern auch, um zu überlegen. Um in der Finsternis eine Kerze anzuzünden.

»Was soll ich als erstes machen, Herr Kommissar?«, hörte er sich fragen.

»Behalten Sie den Hotelangestellten, der im Koma liegt, im Auge. Ich habe mich erkundigt. Er war an diesem Nachmittag allein. Er hat die Gäste empfangen, die Zimmer gemacht und die Bestellungen angenommen. Das Hotel hat nur Getränke verkauft und mit absoluter Diskretion geworden.«

Der Kommissar reichte ihm eine Karte.

»Das ist die Adresse des Krankenhauses. Unser Mann liegt auf Zimmer 14.«

»Sonst haben Sie nichts gefunden … an der Leiche Ihrer Frau?«

»Nichts … Absolut nichts.«

Einige Moleküle soro auf den Bettlaken und dem Teppich, dachte Azémar. Könnte eine wissenschaftliche Analyse zur Identifizierung des Liebhabers von Madame Solon beitragen? Er erinnerte sich, dass sie behauptet hatte, sie müsste ihm etwas sagen, was ihren Mann betraf. Etwas Wichtiges, als wäre das Leben ihres Mannes bedroht. Das hatte ihn dazu bewogen, sich entgegen jeder Vorsicht mit ihr zu treffen. Und dann hatte sie sein Widerstreben überwunden. Der soro! Ein plötzliches Begehren. Das Verlangen nach Sex, das ihn manchmal zum reinen Tier werden ließ. Hatte sie gelogen, um ihn zu treffen?

»Hatten Sie in letzter Zeit persönlichen Ärger?«

»Was soll diese Frage?«, antwortete der Kommissar brüsk.

»Wenn ich Ihnen helfen soll, müssen Sie mir alles sagen.«

»Das hat nichts damit zu tun, was in diesem Hotel passiert ist«, sagte Kommissar Solon kurz angebunden.
»Ihre Frau hat mich gestern angerufen, weil sie mit mir sprechen wollte. Sie sagte, Sie hätten ein Problem … Nichts zwischen Ihnen und ihr, es ging um Sie.«

Kommissar Solon würde die Anrufliste seiner Frau durchgehen und sehen, dass sie mit Inspektor Azémar telefoniert hatte. Es gab nun eine Erklärung dafür. Der Kommissar würde freilich Zugang zu den Aufzeichnungen der Gespräche verlangen, und dann würde es gefährlich werden. Das würde allerdings einige Zeit dauern. Genehmigungen müssten eingeholt werden. Das Chaos durch das Erdbeben würde dem Kommissar die Aufgabe erschweren.

»Sie ist tot, Azémar. Ich mag Probleme haben. Schwerwiegende Probleme. Aber sie hätte Ihnen ohne mein Einverständnis nicht davon erzählen dürfen.«

»Ich sollte Ihnen helfen … Vielleicht gegen Ihren Willen … Jedenfalls hatte ich nicht die Zeit, sie zu treffen, was ich bedauere.«

»Wenn Sie mir helfen wollen, dann machen Sie diesen Mann ausfindig, und dann überlassen Sie ihn mir und vergessen alles. Was den Rest betrifft, so bin ich groß genug, um allein klarzukommen.«

Azémar sagte nichts. Er betrachtete betrübt, verschämt seine schmutzigen Schuhe voller Schlammspritzer.

Geschmacklose Schuhe, wie sie auf den Straßen verkauft wurden. Kein Vergleich mit den Markenschuhen, die der Kommissar trug. An diesem Morgen war kein Schuhputzer auf der Straße.

»Befragen Sie alle Angestellten des Hotels für den Fall, dass meine Frau auch an anderen Tagen mit diesem Mann dort war. Ich versuche, jemanden von der Handygesellschaft zu kontaktieren, mit der meine Frau einen Vertrag hatte. Das legale Verfahren dauert zu lange, und ich hab’s eilig. Ich habe dieser Person vor nicht allzu langer Zeit aus der Patsche geholfen. Ich habe noch ein Dossier in der Hand, das ihr einigen Ärger einbringen kann.«

Er ballte die Fäuste.

»Sie kümmern sich um alles, Inspektor Azémar. Ich verlange nur, dass Sie ihn mir bringen. Und dann eine Kugel in den Kopf. Ich versichere Ihnen, er wird es bereuen, dass er lebend aus dem Hotel entkommen ist.«

Er stand auf.

»Gehen wir nach draußen, es ist heiß unter dieser Plane.«

Sie gingen in den Hof.

»Versprechen Sie es mir, Inspektor?«

»Ich verspreche es Ihnen, Herr Kommissar« antwortete er mit zugeschnürter Kehle.

Ein kleiner Suzuki-Jeep hatte kaum drei Meter vom Zaun entfernt am Straßenrand angehalten. Der Fahrer, ein junger Mann mit Dreadlocks, beobachtete sie. Azémar sah nur seinen Oberkörper, aber das reichte aus, um festzustellen, dass er die Uniform eines Sicherheitsdienstes trug. Als der Rasta am Steuer den Kommissar erblickte, fuhr er sich als eindeutige Drohung mit der rechten Handkante unter dem Kinn entlang, dann startete er. Azémar hätte schwören können, dass der Fahrer dabei kicherte.

»Kennen Sie ihn?«, fragte er den Kommissar.

»Nein«, antwortete der Kommissar mit unsicherer Stimme. »Bringen Sie mir diesen Mann, Inspektor. Schnell!«

Pressestimmen

Thomas Wörtche, Leichenberg

Auch Soro von Gary Victor (litradukt) ist wuchtige, große Literatur. (…). Am 12. Januar, um 21:53h erwischt es Azémar, der es gerade in einer miesen Absteige mit der Frau seines Chefs treibt, die von dem zusammenfallen Gebäude zerquetscht wird. Alleine dieses erste Kapitel ist schlicht sensationell. Was dann folgt ist ein Höllentrip aus Gewalt, Wahnsinn, Suff – der Roman ist nach einer besonders wirksamen Schnapssorte benannt, eben Soro – Gier, Politik und Tod. (…) Die Beschreibungen der Naturkatastrophe und deren Folgen sind extrem eindrückliche Protokolle aus dem Inferno, (…). Gary Victor gehört zu den wichtigsten Autoren von Kriminalliteratur und damit zu den wichtigsten Schriftstellern auf diesem Planeten.

Auszug aus Leichenberg 5/2015

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