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Lyonel Trouillot

Thérèse in tausend Stücken

Inhalt

Thérèse, Tochter aus gutem Haus und pflichtbewusste Ehefrau, entdeckt mit 26 Jahren ihr zweites Ich. “Die andere” lässt sie ihre Familie, ihre Ehe und die Provinzstadt, in der sie lebt, eine Stadt, “in der selbst die Träume zur festgesetzten Zeit nach Hause müssen”, mit anderen Augen sehen und schockiert ihre Umgebung mit freimütigen Reden. Die Skandale häufen sich, eine Entscheidung wird unausweichlich.

Die Geschichte der Krise und Befreiung einer Frau aus bourgeoiser Enge und erstarrten Konventionen.

Weitere Werke von Lyonel Trouillot in anderen Verlagen

 

Autorenportrait

Lyonel Trouillot wurde 1965 in Port-au-Prince geboren, wo er noch heute lebt. Nach einem Jurastudium wandte er sich ganz seiner eigentlichen Leidenschaft, der Literatur, zu. Er schreibt Lyrik und Prosa in kreolischer und französischer Sprache. Seine Romane, etwa Jahrestag (Bicentenaire) (Actes Sud 2006, Litradukt 2012), Les enfants des héros (Actes-Sud 2002), L’amour avant que j’oublie (Actes-Sud 2007), Yanvalou pour Charlie (Actes-Sud 2009) sowie La Belle Amour humaine (Actes-Sud 2011) machten ihn international bekannt und wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Als Mitglied und Sprecher des Collectif Non, einer Initiative von haitianischen Intellektuellen, gehörte er zu den wichtigsten Opponenten gegen das Regime von Jean-Bertrand Aristide.

Lyonel Trouillot lehrt französische und kreolische Literatur an der Universität Port-au-Prince.

Leseprobe

Weil mir abrupt bewusst geworden ist, dass ich bis zu diesem Tag eine Art »Da-Sein« war, eine Wirklichkeit vollständig außerhalb ihrer eigenen Existenz (nicht einmal eine echte Lüge, nur ein eher gewohnheitsmäßiges als motiviertes Zögern), habe ich beschlossen zu schreiben. Sowohl um sicherer im Ausdruck zu werden als auch um mich tätig zu begründen. Die ganze Thérèse war nur ein Haufen Ausdrücke von der Sorte nichts Halbes und nichts Ganzes, zwischen den Stühlen, weder Fisch noch Fleisch. Als wäre ich bewohnt von tausend unvereinbaren Schicksalen, wird mir klar, dass irgendetwas ohne mein Wissen meine rechte Hand von meiner linken entfernte, so dass sie, ob mich nun Freude oder Zorn bewegte, keine einzige einstimmige Geste mehr vollführen konnten. Meine Schritte hielten bei jeder Kurve an; mein Kopf, mein Körper, meine Träume watschelten wie eine Ente und zogen alle in entgegengesetzten Richtungen an meinen
Fäden. Die auf immer zergliederte Thérèse hat also beschlossen, zu schreiben. Ich verstehe nicht viel vom Schreiben, aber in meinen Erinnerungen an die Übungen meiner Schulzeit ist das keine Tätigkeit, bei der man zwischen den Stühlen sitzt: Als Marionette und Marionettenspielerin zugleich schreibe ich, um herauszubekommen, wie vielen Thérèses ich als Puppe gedient habe. Vielleicht sollte ich das Adverb »abrupt« streichen, denn es war kein besonderes Ereignis, das das Bedürfnis ausgelöst hat, mich anzuknüpfen, mich in Person zu setzen. Ich gebrauche  diesen Ausdruck, so wie man von einem Autor sagt, dass er sich selbst in Szene gesetzt hat. Der Wunsch, das zu finden, was sich in mir anknüpft, was in mir auf der Reise ist – was meine Angehörigen heute als krankhafte Besessenheit bezeichnen –, ist wie ein Desaster über mich gekommen mit Gedächtnisverlusten, mit der Verwechslung von Zeiträumen und mit der Verteilung der Stimmen.

Anscheinend wechsle ich die Stimme und die Sprachebene.
»Thérèse hat wie eine Hündin mit Joël und Alexandre, den Zwillingen von Mme. Garnier, gefickt«, das ist meine Gossensprache. »Viel Glück und viel Segen auf all deinen Wegen …«, das ist Thérèse, die sich nach Kindheit sehnt. Anfangs sahen mein Mann, meine Familie und unsere wenigen Freunde darin nur eine unangebrachte Laune. Obwohl von Natur aus misstrauisch und ohne Anlage zum Humor, haben sie die nahe Gefahr nicht sofort wahrgenommen. Ich habe zunächst gesagt, Thérèse existiere nicht. Sie haben geglaubt, ich spiele ihnen etwas vor. Als ich auf meiner Nichtexistenz bestand und außerhalb meiner das Wort ergriff, haben sie mich immer ärgerlicher gewarnt, es nicht zu übertreiben. Und ich bin rasch vom Humor zum Skandal übergegangen, vom Talent zur Sünde und von der natürlichen Begabung zum Fluch. Es stimmt, dass es die  Zwillinge gibt und dass Mme. Garnier schlecht auf mich zu sprechen ist. Es stimmt auch, dass mein armer Ehemann nicht darauf vorbereitet war, mit meinen Ausbrüchen umzugehen.
Alles an ihm zeugt von großer Ratlosigkeit. Er hat versprochen – aber wem? –, mehr Zeit zu Hause zu verbringen. In einer Anwandlung von Opferbereitschaft hat er sogar versprochen, mit seinen Geliebten zu brechen. Ich wusste gar nicht, dass er welche hatte. Wir waren beide in die Ehe eingestiegen wie in einen Beruf, jeder hatte eifrig seine Rolle gespielt, und ich hatte seine Aufführung schließlich für seine Wahrheit gehalten. Ich habe mich zunächst geärgert, dass ich mich von seinen Schauspielertricks hatte täuschen lassen, doch dann gefiel mir der Gedanke, dass er zu Geheimnissen fähig war.

Sind wir denn etwas anderes, als das, was aus uns überfließt wie eine Gegennatur zu unseren offiziellen Leben? Ist es nicht das, was ich selbst suche: Thérèse in tausend Stücken, Thérèse als Heilige, Thérèse als Tante, Thérèse wie verschwiegen und offenbart zwischen Ordnung und Exzess, die redet und daherredet, unbeweglich und in alle Windrichtungen. Thérèse in
tausend Stücken wie lauter Fragmente, die alle auf ein und denselben Vornamen hören.
Diese Notizen sind mein Rückzug und mein Ausschwärmen zugleich, mein Fehlschlag und meine Aktualisierung. In Ermangelung einer geraden Sprache schreibe ich, um meine Stimmen zu versammeln.

Pressestimmen

Le Devoir, Montreal

Ein aufwühlender Roman (über) eine junge Haitianerin (…), die beschließt, ihrer Vergangenheit, ihrem Dorf, ihrem Elend den Rücken zu kehren, um ihre Seele, ihre Individualität wiederzufinden

Unsere Bücher

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